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Bezahlkarte - Das System behindert Integration

Peter Ehmann und Christine Schmitt
Datum:
Veröffentlicht: 9.8.24
Von:
Anna-Lena Reif
Artikel von Anna-Lena Reif im Fränkischen Tag Forchheim

Die neue Bezahlkarte bringt Geflüchtete in Bedrängnis. Caritas und Awo fordern nun schnelle Nachbesserungen am System, um die Menschen zu entlasten. Wo die Probleme liegen.

Kreis Forchheim Für Geflüchtete hat sich seit April einiges geändert. Seitdem sollen sie ihre Ausgaben mit einer neuen Bezahlkarte bestreiten, zusätzlich gibt es 50 Euro des monatlichen Budgets als Bargeld – und dieses muss den ganzen Monat reichen. Die Idee dahinter: Das Geld soll vor Ort ausgegeben und nicht in andere Länder transferiert werden.
Was in der Theorie einfach klingt, stellt viele im Alltag vor Herausforderungen, für die nicht immer einfache Lösungen ersichtlich sind. Auch in Forchheim treten Caritas und Arbeiterwohlfahrt (Awo) nun an die Öffentlichkeit, um auf die Probleme hinzuweisen.
„Wir kritisieren nicht das System an sich“, betont Peter Ehmann von der Caritas bei einem Gespräch immer wieder. „Aber es gibt sichtbaren Nachbesserungsbedarf. Das Bargeld ist oft zu rasch aufgebraucht und die Karte hat auch nur eine beschränkte Reichweite.“
In Forchheim zum Beispiel habe sich der ökumenische Sozialladen in den vergangenen Wochen teils über ausbleibende Kundschaft gewundert. Der Grund sei letztlich, dass im Sozialladen keine Kartenzahlung möglich sei. Das liege zum einen daran, dass es ein großer Aufwand sei, solche Systeme einzuführen. Zum anderen aber auch daran, dass pro Transaktion Gebühren anfallen, die bei den niedrigen Preisen im Sozialladen zum Problem werden können.

Umstellung: 49-Euro-Ticket gekündigt

Die Probleme zeigt Ehmann am Fall von Mohammed Alhassan auf. Der 23-jährige Syrer lebt seit rund einem Jahr in Deutschland, wohnt aktuell in Ebermannstadt und besucht einen Deutschkurs in Erlangen. Für die Fahrten nutzt er das 49-Euro-Ticket. Bisher wurde dieses über sein Girokonto abgebucht. Doch da die Bezahlkarte eine neue IBAN und die Umstellung nicht geklappt hat, platzte die Abbuchung zweimal. Die Bahn kündigte kurzerhand das Ticket und verlangt nun zusätzlich zu den beiden Monatsbeträgen noch Strafgebühren. Für Alhassan heißt das: Schulden.

Grundproblem bleibt bestehen
Zwar konnte er inzwischen dank der Hilfe von Rainer Hofmann, einem ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, ein neues Ticket lösen. Das Grundproblem bleibt aber bestehen. „Für uns Helfer ist die Situation momentan auch schwierig“, erklärt Hofmann. „Aber die Betroffenen sind heillos überfordert.“ Man müsse bedenken, dass Menschen, die frisch in Deutschland ankommen, schon allein wegen der Sprachbarriere die neuen bürokratischen Herausforderungen, die mit der Karte einhergehen, nicht stemmen könnten.
Auch Christine Schmitt von der Awo Forchheim berichtet von den sich häufenden Problemen. „Wir betreuen zum Beispiel eine Mutter, die mit dem Bargeld Probleme hat, Auslagen für das Schullandheim ihres Kindes zu begleichen“, schildert sie. Somit fördere die Karte zum Teil auch eine soziale Ausgrenzung. Ein weiteres Problem sei, dass Geflüchtete dazu verpflichtet seien, eigenständig die neue IBAN an alle Vertragspartner zu melden, also zum Beispiel an den Netzbetreiber des Handy-Vertrags. Sie nennt das Beispiel einer Frau, die deswegen mehrere Mahnungen erhalten habe, weil sie aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht verstanden habe, was zu tun sei.

Es geht um Menschen im Armutssektor
Auch seien zum Beispiel Einkäufe in Online-Shops gänzlich ausgeschlossen. „Wir reden hier von Menschen im Armutssektor“, gibt Ehmann zu bedenken. Gerade für diejenigen, die jeden Cent umdrehen müssten, sei der Einkauf online nötig, weil er oft viel günstiger sei als vor Ort. Gerade, weil auch auf Flohmärkten oder in Sozialläden in der Regel keine Kartenzahlung möglich sei, das Bargeld aber nicht reiche. „Bei der Einführung standen ideologische Gründe im Vordergrund“, ist Hofmann überzeugt. Über den Alltag einer Person, die mit 460 Euro im Monat auskommen muss, sei dabei wenig nachgedacht worden. Inzwischen gebe es Berichte über Menschen, die wegen des Bargeldbedarfs in die Prostitution gehen oder sich mit der Karte Gutscheine von Geschäften kaufen und diese für Bargeld weiterverkaufen würden. „Es entsteht ein Schwarzmarkt“, so Hofmann.

Wird Integration dadurch erschwert?
Peter Ehmann sieht durch die Probleme, die die Karte mit sich bringt, die Integration der Geflüchteten beeinträchtigt. „Man erwartet immer, dass alle sich integrieren, aber man nimmt ihnen damit ein Stück weit die Möglichkeit“, so Ehmann. Mohammed Alhassan zum Beispiel sei ein Muster für Integration, sagt Hofmann, der den 23-Jährigen im Alltag unterstützt. „Er ist sehr bemüht und rückt mir schon fast auf die Pelle, dass er mehr Deutsch lernen will“, erzählt er schmunzelnd. Weil ihm der Kurs in Erlangen nicht schnell genug gehe, nehme Mohammed nun noch zusätzliche Deutschstunden. In seinem Heimatland hat er als Friseur und Automechaniker gearbeitet. Hier sind beides Lehrberufe. „Dazu muss er erstmal Deutsch lernen, damit er dann eine Ausbildung anfangen kann“, sagt Hofmann. Auch Mohammeds Brüder leben in Forchheim. Der ältere arbeite bereits in einem Geschäft, der jüngere hingegen sei noch minderjährig und besuche die Schule. Auch für ihn wolle Mohammed bald arbeiten und Geld verdienen. Hofmann ist sich sicher, dass das Bezahlsystem noch einmal überdacht werden muss: Erste Gerichtsurteile, die die Bezahlkarte infrage stellen und Verstöße gegen das Grundrecht in den Raum werfen, lassen ihn hoffen.

Landratsamt sieht keine großen Probleme
In Anbetracht der Kritik an der Höhe des monatlich ausgezahlten Bargelds verweist das Landratsamt auf gesetzliche Vorgaben. Daran könne man nichts ändern, heißt es auf Anfrage. Ohnehin seien derzeit „keine schwerwiegenden Probleme in Zusammenhang mit der Bezahlkarte bekannt“. Jedoch verweist die Pressestelle auch auf ein erstes Urteil, das „die Bezahlkarte nicht infrage stellt, aber eine Ermessensentscheidung verlangt“. Das Landratsamt stellt Änderungen ab September in Aussicht – grundsätzlich bleibe es aber bei den 50 Euro Barbetrag.